Gau Passau
Dieser Artikel ist erschienen im Rhaeten-Herold Nr. 517/518-S. 14

Gautag am 30. April 2005 in Aigen am Inn

Der Heilige Leonhard gilt zwar nicht ausdrücklich als Wetterpatron, die Teilnehmer des Passauer Gautags vom 30. April 2005 in Aigen am Inn, der alten niederbayerischen Leonhardi-Wallfahrtsstätte, hätten ihm aber ohne weiteres auch diese Funktion zugetraut, so sehr war ihr Treffen vom Wetter begünstigt. Es war aber sicher nicht nur die günstige Witterung, die so viele Bundesbrüder kommen ließ, sondern vor allem die Freude an der Begegnung und das Interesse am Ort des Treffens. Außer zahlreichen Passauer Rhaeten konnte der Gauobmann wieder erfreulich viele Mitglieder anderer Gaue begrüßen, an der Spitze den stellvertretenden Philistersenior, Bb. Manfred Stegmüller vom Gau München. Aus dem Gau Donau-Naab kamen Gauobmann Bb. Otmar Regler mit Gattin und die Bundesbrüder Dr. Heinrich Gruber, Dr. Johann Gruber und Martin Spitzer mit Gattin, und aus dem Rupertigau die Bundesbrüder Ludwig Felber mit Gattin und Paul Rauscher.

In der Person von Herrn Rektor Lorenz Diet hatte die Gruppe einen Führer, wie man sich ihn nicht besser hätte wünschen können. Reiches Wissen wurde in bestens aufbereiteter Form geboten, und auch wenn da und dort relativierende Bemerkungen - Legenden und kultische Bräuche früherer Zeiten betreffend - angebracht waren, betonte Herr Diet doch unmissverständlich die Würde dieses alten heiligen Ortes. „Eigentlich müsste ich sagen: Dieser Ort, wo Sie stehen, ist heiliger Boden. Ziehen Sie Ihre Schuhe aus!", gab er zu bedenken und machte bewusst, welch gewaltige Zahl hochmögender Persönlichkeiten und einfacher Menschen in den Zeiten der Wallfahrtsblüte über die „Via sacra" vom Zentrum des Ortes zur Wallfahrtskirche geschritten sind. Einer von ihnen war Hans Birndorfer, der spätere heilige Bruder Konrad, der zehn Jahre lang fast alle zwei Wochen hier bereits um 4 oder 5 Uhr morgens nüchtern vor der Kirchentüre stand, um dem Gottesdienst beizuwohnen, sich ebenso nüchtern auf den Heimweg machte und anschließend ein schweres Tagewerk bewältigte. Zwei Schwerpunkte bestimmten Herrn Diets weitere einführende Bemerkungen, die Leonhardiverehrung als solche und deren Bedeutung für Aigen; das Wesentliche sei hier kurz zusammengefasst:

In der Person Leonhards zeichnet die Überlieferung das Bild eines Mannes, der aus höchsten Gesellschaftskreisen stammte, demgemäß höchste Ansprüche hätte stellen können, aber den Weg der Selbstverleugnung und des Dienstes am Nächsten wählte. Um 500 der weitverzweigten Familie des Merowingerkönigs Chlodwig entsprossen, lehnte er höhere Ämter ab und zog sich schließlich als Einsiedler nach Noblac im Limousin zurück. Sein Einsatz für Verfolgte, Gefangene und Haftentlassene vermittelte ihm wohl die erste seiner Funktionen als späterer Heiliger, seine Verehrung als Gefangenenpatron, versinnbildlicht durch das Attribut der Kette. Einen Sohn Chlodwigs, König Theuderich I., verpflichtete er sich dadurch, dass er seiner Frau, die in unwegsamer Gegend plötzlich von Geburtswehen überfallen wurde, zu einer glücklichen Niederkunft verhalf. Hier liegt wohl die Wurzel seiner Verehrung als Patron der Mütter und schließlich als Helfer in jeder Art von Krankheit. Da Leonhard auch als Beistand im Tod angerufen wurde, kann man - so Herr Diet - getrost sagen, dass man in ihm einen „Begleiter von der Geburt bis zur Sterbestunde" sah.

Diese vielgestaltige Verehrung ließ freilich auf sich warten: Erst etwa 600 Jahre nach dem Tod Leonhards wurde sie durch die Legendendarstellung des laco-bus de Voragine in dessen „Legenda Aurea" angefacht. Nun freilich erlebte sie eine beispiellos rasche und weite Verbreitung über ganz Europa hin und bis an die Schwelle des Orients. Die spezielle Aigener Wallfahrtslegende deutet einen wichtigen Umstand an, der hier vermutlich eine Rolle gespielt hat: Der Burgherr des nahen Schlosses Katzenberg identifiziert ein aus dem Wasser gefischtes Heiligenbild als Darstellung des Heiligen Leonhard, um dessen Verehrung er von seinen Aufenthalten in Frankreich her weiß. Dahinter steht wohl die Tatsache, dass er als Kreuzzugsteilnehmer vielen Franzosen begegnet ist. Die Kreuzzüge waren also vermutlich der eine Verbreitungsfaktor, ein anderer die für das Mittelalter so bedeutsamen Pilgerwege nach Santiago de Compostela, von denen ein besonders wichtiger durch das Limousin führte. Wo bleibt aber die Funktion, die wir heute vor allem mit dem Heiligen Leonhard verbinden: das Viehpatronat? Erstaunlicherweise kam es erst im 16. Jahrhundert auf, wobei offenbar die Gefangenenketten, Leonhards Attribut, zu Viehketten umgedeutet wurden.

Hier darf eine Information aus dem in jüngerer Zeit erschienenen Büchlein „Die Weisheit des heiligen Leonhard" von Erich Jooß eingeschoben werden: Im Deckenfresko der Kirche von Inchenhofen bei Aichach, einer besonders bedeutenden Leonhardwallfahrt, ist „auch Kurfürst Maximilian I. zu sehen, der ein Pferd am Zügel führt". Die Darstellung geht auf eine Pferdeseuche zurück, die im Jahre 1631 auch „das Gestüt des Herrschers in Schleißheim bedroht" hat. Für den Fall einer Hilfe habe der Kurfürst versprochen, der Wallfahrt jährlich ein junges Pferd zu stiften, ein Gelübde, das von den Wittelsbachern 150 Jahre lang gehalten worden sei. In dieser Episode deutet sich - so Jooß - der Patronatswechsel zum „himmlischen Viehdoktor" an. All diese Patronate wie auch andere Legendeninhalte fanden ihren Niederschlag in zwei Bilderserien im Innern der Aigener Kirche. Der Einzugsbereich der Aigener Wallfahrt erstreckte sich einst bis nach Südböhmen, ins untere Mühlviertel und ins österreichische Alpenvorland. Von all dem ist heute im Wesentlichen nur der Leonhardiumritt Anfang November erhalten geblieben, und statt auf Pilger stützt sich der Ort heute wirtschaftlich auf die Kurgäste von Bad Füssing, zu dessen Gemeindebereich der Ort gehört. In der Blütezeit seiner Wallfahrt war Aigen aber gewissermaßen ein „Schatzkästlein des Hochstifts Passau"; zu dem es seit alters gehörte, und trug mit seiner Finanzkraft z.B. zur Barockisierung einer Reihe bedeutender Kirchen, u.a. des Passauer Doms selbst, bei.

Zeugen des einstigen Wohlstands sind nicht nur die sehr stattliche Kirche, sondern - wie Herr Diet bei der eigentlichen Kirchenführung klarstellte - auch bestimmte Teile der Innenausstattung, wie die vergoldeten Säulen am Hochaltar, deren ursprüngliches Erscheinungsbild ebenso wie die originale Farbgebung des Gewölbes erst durch die jüngste Renovierung wieder hergestellt wurde. Das Gemälde des eindrucksvollen Hochaltars verweist im übrigen auf eine wichtige Quelle der Kraft für die Aigener Wallfahrt, nämlich das Doppelpatrozinium der Kirche:

Einerseits ist es das des Heiligen Leonhard, andererseits aber das gerade in Altbayern so beliebte Festgeheimnis Maria Himmelfahrt.

Die Kirchenführung endete bei einer besonderen Eigentümlichkeit der Aigener Wallfahrt, den sog. „Würdingern" in der „Schatz-" oder „Eisenkammer". Es handelt sich hier um vier große Eisenvotive, die mehr oder weniger deutlich an menschliche Figuren erinnern. Früher wurden sie bei festlichen Anlässen gehoben und geworfen, was nicht nur eine vordergründige Kraftprobe bedeutete, sondern auch eine Art Gesundheitszauber darstellte: Nach gelungenem Wurf glaubte man sich für ein Jahr vor Krankheit geschützt.

Wie gut die Führung bei den Rhaeten angekommen war, zeigte die lebhafte Schlussresonanz in Form von Fragen und eigenen Beiträgen der Zuhörer, die sich nur schwer vom Zauber dieses Kirchenensembles losreißen konnten. Ein Teil von ihnen blieb auch noch insofern „bei der Sache", als er vor der abschließenden Einkehr nach das einige hundert Meter entfernte Leonhardimuseum aufsuchte, bevor er sich dem Gros zugesellte, das sich bereits im stimmungsvollen Wirtsgarten des Restaurants „Zehentstadl" eingefunden hatte. Dieses burgartige, würfelförmige Gebäude hatte zusammen mit einem Schlösschen, das heute als Kindergarten dient, die örtlichen Verwaltungseinrichtungen des Hochstifts Passau beherbergt. Die angeregten Gespräche beim gemütlichen Beisammensein bestätigten endgültig, dass niemand diesen Ausflug in den Südosten des Gaus Passau bereute.

Bb. Franz Salzinger