Gau Passau
Dieser Artikel ist erschienen im Rhaeten-Herold Nr. 585-S. 9-11

Alte Kirche und junge Universität

Gautag der Passauer Rhaeten am 10. September 2016

ln einer „Herold“ -Nummer früherer Jahre sprach Bundesbruder Ernst Härtl einmal von einem „Horndasch“ ¬ Gau“. Er bezog sich dabei auf jenen alten Pfarrhof in Stammham bei Marktl, in dem er mit gutem Grund eine Art seelisches Gravitationszentrum der südostbayerischen Rhaetengaue sah, beruhend auf der Anziehungskraft von Bundesbruder und Künstler Erich Horndasch, der mit seiner Frau Barbara in diesem Anwesen wohnte und wirkte.

Ein monumentales Kunstwerk unseres Bundesbruders war es auch, das einen thematischen Schwerpunkt des Passauer Rhaetengautags vom 10. September 2016 bildete. Es ist das gewaltige Altarbild der Passauer Kirche St. Nikola, dessen Mittelfeld der von Horndasch selbst so bezeichnete „kosmische Christus“ beherrscht, flankiert von den in die Wirbel des Alls getauchten Evangelistensymbolen und gleichsam gekrönt vom apokalyptischen Motiv des himmlischen Jerusalem, dem im unteren Teil des Bildes die Andeutung der Kirche in ihrer irdischen Existenz entspricht. St. Nikola wird derzeit einer gründlichen Restaurierung unterzogen, die bis zum diesjährigen Kirchenpatrozinium Anfang Dezember abgeschlossen sein soll. Die Passauer Rhaeten genossen nun den Vorzug, über Leitgedanken und Probleme dieser Restaurierung aus erster Hand eingehend informiert zu werden, nämlich durch den Leítenden Direktor des Staatlichen Hochbauamts Passau, Herrn Norbert Sterl, den Amtsnachfolger unseres gleichfalls anwesenden Bundesbruders Günter Albrecht. Die Schwerpunkte von Herrn Sterls Ausführungen seien hier in gebotener Kürze wiedergegeben:

Er skizzierte zunächst die Abfolge der an gleicher Stelle entstandenen Kirchenbauten, die natürlich ähnlich wie in vielen anderen Fällen verlief: Man fand bei der Restaurierung Spuren eines noch bescheiden dimensionierten vorromanischen Baus, sodann gibt es Zeugnisse romanischer und gotischer Vorformen des noch bestehenden Baus, dem der Barock sein Gesicht gab. St. Nikola war die Kirche des gleichnamigen Augustiner - Chorherrenstifts, das Anfang des 19. Jahrhunderts der Säkularisation zum Opfer fiel. Die Kirche wurde dabei jeglicher liturgischer Einrichtung beraubt und diente in der Folge 150 Jahre lang rein profanen Zwecken.

Ende der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts ging man nun daran, die Kirche wieder ihrer ursprünglichen Verwendung zuzuführen, und jetzt stand man vor einigen gewichtigen, miteinander zusammenhängenden Problemen: Da war zunächst die Frage, wie man die fehlende liturgische Einrichtung im Einklang mit dem barocken Charakter der Kirche wieder ersetzen sollte. Die Gestaltung des Hochaltars war hier natürlich ein ganz zentraler Aspekt und man diskutierte diesbezüglich ganz unterschiedliche Lösungen: So erwog man eine figurale Darstellung nach Art des Henselmann-Altars im Passauer Dom, ja sogar eine Rückführung des originalen barocken Hochaltars, der seinerzeit in die Pfarrkirche von Vilshofen gewandert war; von beidem sah man aber nicht zuletzt wegen der zu erwartenden hohen Kosten ab. Da schlug nun die Stunde von Erich Horndasch, wenn auch - bedingt durch Einwände des staatlichen Denkmalamtes - mit einigen Verzögerungen.

Zwar akzeptierte man sein Konzept einer großflächigen bildlichen Darstellung, aber verschiedene Entwürfe unseres Bundesbruders wurden als zu modern abgelehnt, was nachträglich etwas erstaunt, da auch der schließlich genehmigte Entwurf als modern gelten kann. Mit der Gestaltung des Hochaltars verbindet sich nun ein anderes Problem dieser Kirche, nämlich das des Lichteinfalls: Die Nordseite hat wegen der unmittelbar anschließenden Klosterbauten überhaupt keine Fenster und die Westfront wurde schon in barocker Zeit durch einen Vorbau geschlossen; es verblieb nur in der Höhe eine - später auch geschlossene - halbkreisförmige Fensteröffnung, die jetzt wieder geöffnet werden soll.

Das Horndasch - Konzept eines großflächigen Bildes sah zunächst ein Wandfresko vor, was auch die Schließung der Ostfenster des barocken Baus bedingte, die man gegen den Einspruch des Denkmalamts durchsetzte. Dabei blieb es auch, als man sich für eine gemauerte Wandtafel als Bildgrundlage entschied. lm Zuge der gegenwärtigen Restaurierung wurden nun die 1959 verschlossenen Ostfenster der Kirche wieder geöffnet, wobei sowohl der dahingehende Wille des Denkmalamts bestimmend war als auch der Gedanke an eine neue Zweckbestimmung der Kirche, die nun nicht mehr nur Gottesdienst-, sondern auch allgemeiner Kulturraum sein sollte. Diese Maßnahme hatte aber eine zweite, sehr einschneidende zur Folge: Man rückte den Altar ein gutes Stück von der Ostwand in Richtung Kirchenschiff. Beide Maßnahmen veränderten die Beleuchtungsverhältnisse des Gesamtraums wie auch des Bildes, und man hofft damit die Lichtverhältnisse der Barockzeit wiederhergestellt zu haben. Die Zuhörer glaubten Herrn Sterl gern, dass die Verschiebung des gewaltigen Bildes von vier Tonnen Gewicht ein gewagtes Unternehmen war; sie gelang aber so gut, dass nicht einmal zusätzliche Risse auftraten. Es wäre nun nicht recht, allzu einseitig das zeitgenössische Werk unseres Bundesbruders in den Vordergrund zu rücken und den großen und zur Zeit seines Wirkens noch blutjungen barocken Künstler hintanzustellen, der die ca. 90 - nach Kriegseinbußen noch erhaltenen - Fresken der Kirche geschaffen hat: Wolfgang Andreas Heindl. Seine Hauptleistung besteht in der langen Reihe der im Scheitel des Mittelschiffs sich entlangziehenden Darstellungen von Szenen aus dem Leben des heiligen Nikolaus. Was bei der Restaurierung dieser Fresken zu bewältigen war, mag die Aufzählung der dabei notwendigen Einzelschritte ahnen lassen: Reinigung - Behebung von Fehlstellen im Freskoputz - Befestigung loser Putzschichten - Behebung von Abblätterungen - Beseitigung von Rissen – Entfernung von Übermalungen. Und natürlich kann man von Passau nicht reden, ohne auch vom Wasser zu sprechen. Nun liegt die Kirche zwar hinreichend hoch, um nicht unmittelbar Überschwemmungen ausgesetzt zu sein, aber die zahlreichen in die Wand eingemauerten Epitaphien zeigten doch große Schäden infolge aufsteigender Feuchtigkeit. Man hat sie in hinterlüftete Stahlrahmen eingesetzt, so dass sie vor solchen Einwirkungen in Zukunft geschützt sind und nun wie ausgestellte Bilder wirken. Von allem bisher Gesagten konnten wir uns mehr oder weniger unmittelbar überzeugen, aber es wurde auch die Erwartung zukünftigen Erlebens geweckt: Herr Sterl sagte uns, man habe Wert darauf gelegt, Stromleitungen und Leuchtkörper zu verbergen; so habe man auf den Vorkragungen der Kapitelle LED-Lampen angebracht, die - selbst unsichtbar – durch Reflexion an Kapitellen und Gewölbe indirektes Licht erzeugen: Wir werden also in zukünftigen Abendstunden eine ganz neue Nikolakirche erleben, die hoffentlich auch in ihrer Funktion als Universitätskirche wieder angenommen werden wird. Damit ist nun auch das Stichwort für den zweiten Teil des Gautagsbesichtigungsprogramms gefallen, die Begegnung mit der Keimzelle der Passauer Universität.

In einem angesichts der knappen verbleibenden Zeit notwendigerweise kurzen Rundgang stellte Bundesbruder Günter Albrecht - seinerzeit Leiter des Universitätsneubaus - in prägnant - anschaulicher Form die baulichen Leitgedanken der Anlage vor, die vom alten Nikolakloster ihren Ausgang nahm: Man hatte aus den Problemen stadtferner Universitäten gelernt und wollte die Passauer Hochschule bewusst an die Stadt anbinden; außerdem wollte man nicht eine – topographisch ohnehin nicht naheliegende - konzentrische Gebäudestruktur, sondern entschied sich für jenen Vorschlag, der eine perlenschnurartige Anordnung von Einzelbauten vorsah. Ein weiterer Leitgedanke war die Rücksichtnahme auf Vorgegebenes und dessen weitgehende Einbeziehung, weshalb man auch das erste zusätzliche Gebäude so anlegte, dass der Blick auf die Südfront des alten Klosters und der in Richtung Altstadt. unbeeinträchtigt blieben. Ein freier Ausblick kennzeichnete nun auch den zweiten, den geselligen Teil des Gautags: lm lichten innseitigen Anbau des Gasthauses „lnnsteg“ war für die etwa zwanzig Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Gautags ein langer Tisch gefällig gedeckt, von dem aus man den Blick über die ganze Passauer Innlandschaft bis hinunter zum alten Jesuitenkolleg, dem heutigen Gymnasium Leopoldinum, zu den benachbarten österreichischen Höhen und hinauf zur Wallfahrtskirche Mariahilf schweifen lassen konnte. Da die Qualität des gastronomischen Angebots hinter diesen optischen Eindrücken nicht zurückblieb, War schon klar, dass dieser Gautag eine runde Sache geworden war. Natürlich ließ das entspannte mittägliche Gespräch bei den anwesenden Passauern auch ortsgebundene Erinnerungen aufsteigen. Das gilt auch für unseren verehrten Philistersenior, der seine alte Verbundenheit mit der Kirche St. Nikola offenbarte: Er hatte schon in seiner Jugend hier die Orgel gespielt.

Bb. Franz Salzinger